Zusammenfassung des Urteils IV 2006/228: Versicherungsgericht
Die Chambre des tutelles des Kantonsgerichts behandelt den Berufungsantrag von D.________ gegen die Entscheidung des Friedensrichters des Bezirks Jura - Nord vaudois, der eine Vormundschaftsmassnahme für D.________ anordnete. D.________ leidet unter Alkoholabhängigkeit, leichter geistiger Behinderung und posttraumatischer Belastungsstörung. Experten empfehlen eine Vormundschaftsmassnahme und eine Unterbringung zur Unterstützung. Trotz des Widerspruchs von D.________ wird die Vormundschaft von der Justiz des Friedens bestätigt. Es wird entschieden, dass die Gerichtskosten nicht anfallen.
Kanton: | SG |
Fallnummer: | IV 2006/228 |
Instanz: | Versicherungsgericht |
Abteilung: | IV - Invalidenversicherung |
Datum: | 17.12.2007 |
Rechtskraft: | - |
Leitsatz/Stichwort: | Entscheid Art. 16 ATSG; Art. 28 Abs. 2 bis IVG. Invaliditätsbemessung von Selbstständigerwerbenden; ausserordentliche Bemessungsmethode. Eine in einer von der IV-Stelle durchgeführten "Abklärung Selbstständigerwerbende" ermittelte gesundheitliche Einschränkung, die im Rahmen einer polydisziplinären medizinischen Begutachtung als realistisch erachtet wurde, ist zur Ermittlung des IV-Grads noch erwerblich zu gewichten (Entscheid des Versicherungsgerichts des Kantons St. Gallen vom 17. Dezember 2007, IV 2006/228). |
Schlagwörter : | ätig; IV-act; Beschwerdeführers; Arbeit; Rente; Betrieb; Einsprache; Invalidität; Recht; Arbeitsfähigkeit; Abklärung; Geschäft; Person; Quot; Umschulung; Anspruch; Einspracheentscheid; Invaliditätsgrad; IV-Stelle; Tätigkeiten; Abklärungsbericht; IV-Rente; Rechtsvertreter |
Rechtsnorm: | Art. 16 ATSG ;Art. 5 BV ; |
Referenz BGE: | 104 V 136; 114 V 312; 126 V 75; 128 V 29; 128 V 30; 128 V 32; |
Kommentar: | - |
in Sachen
F. ,
Beschwerdeführer,
vertreten durch Rechtsanwalt lic. iur. Markus Roos-Niedermann, Postgasse 5, Postfach, 9620 Lichtensteig,
gegen
IV-Stelle des Kantons St. Gallen, Postfach 368, 9016 St. Gallen,
Beschwerdegegnerin,
betreffend Rente Sachverhalt: A.
F. , Jahrgang 1958, meldete sich im Mai 2003 zum Bezug von Leistungen der Invalidenversicherung (IV) an und beantragte die Ausrichtung einer Rente. Er gab an, unter Rückenbeschwerden zu leiden (IV-act. 1). Im Arztbericht vom 8. Juni 2003 diagnostiziert Dr. med. A. , Facharzt FMH für Allgemeine Medizin, insbesondere ein chronisch rezidivierendes spondylogenes Syndrom lumbal mit radikulärer Irritation L5 und S1 rechts. Seit 15. Januar 2003 betrage die Arbeitsfähigkeit in der angestammten Tätigkeit als selbstständiger Sanitärinstallateur 50%. Adaptierte Tätigkeiten ohne zusätzliche Rückenbelastung, wie etwa Büroarbeit, seien dem Versicherten ganztags und ohne Verminderung der Leistungsfähigkeit zumutbar (IV-act. 9-1 bis 9-4). In einem weiteren Arztbericht zuhanden der IV-Stelle vom 21. August 2004 wiederholte Dr. A. seine Einschätzung (IV-act. 20-5 bis 20-8).
Eine von der IV-Stelle am 2. März 2004 durchgeführte Abklärung vor Ort betreffend die selbstständige Erwerbstätigkeit des Versicherten ergab gemäss Abklärungsbericht vom 14. September 2004 eine Arbeitsfähigkeit von 43% (IV-act. 21-7). Im Dezember 2004 beauftragte die IV-Stelle die Ärztliche Begutachtungsinstitut GmbH, Basel (nachfolgend: ABI), mit der Erstellung eines polydisziplinären Gutachtens. Dieses wurde am 21. Juli 2005 erstellt und beinhaltet insbesondere die Diagnosen des zumindest mässig ausgeprägten, leicht rechtsbetonten Lumbovertebralsyndroms (ICD-10 M54.5), des leicht ausgeprägten Zervikalsyndroms (ICD-10 M53.0) und der leichten OSGArthrose rechts. In der angestammten Tätigkeit sei die Arbeitsfähigkeit zu mindestens 50% eingeschränkt. Körperlich leichte bis intermittierend mittelschwere, adaptierte Tätigkeiten seien dem Versicherten ohne Einschränkung zumutbar (IV-act. 29-16 f.). Gemäss Bericht der zuständigen IV-Berufsberaterin vom 8. Februar 2006 sei eine Umschulung weder aus berufsberaterischer noch aus psychologischer Sicht angemessen. Sie erachte eine Geschäftsaufgabe als nicht zumutbar (IV-act. 45-2).
Mit Verfügung vom 23. Februar 2006 wies die IV-Stelle die Kostengutsprache für berufliche Massnahmen ab. Gesundheitsbedingt seien berufliche Massnahmen grundsätzlich möglich, jedoch wolle der Versicherte seinen Betrieb weiterführen (IVact. 49). Gleichentags verneinte die IV-Stelle einen Anspruch des Versicherten auf eine IV-Rente. Eine leidensangepasste Tätigkeit sei ihm voll zumutbar. Die IV-Stelle errechnete einen IV-Grad von 4%, wobei sie für die Bemessung des Invalideneinkommens die Tabellenlöhne der vom Bundesamt für Statistik herausgegebenen Schweizerischen Lohnstrukturerhebung (LSE) beizog (IV-act. 50).
A.d Gegen die rentenablehnende Verfügung erhob Rechtsanwalt lic. iur. Markus Roos in Vertretung des Versicherten am 27. März 2007 Einsprache. Er beantragte die Zusprache einer halben IV-Rente. Mit der Verfügung "Keine Kostengutsprache für berufliche Massnahmen" sei der Versicherte einverstanden, da aufgrund der momentanen Verhältnisse die Beibehaltung des Geschäftsbetriebes am sinnvollsten sei für die Erhaltung der 50%-igen Arbeitsfähigkeit (IV-act. 51). Mit Einspracheentscheid vom 2. Oktober 2006 wies der Rechtsdienst der Sozialversicherungsanstalt des Kantons St. Gallen in Vertretung der IV-Stelle die Einsprache ab. Eine berufliche Umschulung dränge sich seit mehreren Jahren auf. Da es noch 17 Jahre dauere bis zum Erreichen des AHV-Alters, sei es dem Versicherten zumutbar, das Geschäft aufzugeben und sich anstellen zu lassen. Eine psychische Dekompensation nach der Geschäftsaufgabe sei möglich, jedoch aufgrund der psychischen Vorgeschichte wenig wahrscheinlich. Gegebenenfalls müsse die Rentenberechtigung später neu beurteilt werden. Unter Berücksichtigung eines Valideneinkommens von Fr. 53'782.- und eines anhand der Tabellenlöhne unter Anerkennung eines Abzugs von 10% bemessenen Invalideneinkommens von Fr. 52'511.belaufe sich der IV-Grad auf lediglich 2.3%
(act. G 1.1.1). B.
B.a Gegen diesen Entscheid richtet sich die Beschwerde des Rechtsvertreters des Versicherten vom 2. November 2006 (act. G 1). Er beantragt die Aufhebung des Entscheids und die Zusprache einer halben IV-Rente, unter Kostenund Entschädigungsfolgen. Indem die Beschwerdegegnerin nicht ansatzweise auf die Einsprache vom 27. März 2006 eingegangen sei, habe sie das rechtliche Gehör des
Beschwerdeführers massiv verletzt. Dadurch werde die Beschwerdegegnerin kostenpflichtig und habe sowohl die amtlichen Kosten als auch die Anwaltskosten zu übernehmen. Der Rechtsvertreter des Beschwerdeführers bezeichnet die Vorgehensweise der Beschwerdegegnerin als widersprüchlich, da sie eine IV-Rente einerseits mit der Begründung verweigert habe, der Beschwerdeführer könne als Angestellter zu 100% arbeiten und andererseits erkannt habe, dass für den Eintritt in eine andere Branche Umschulungen notwendig seien. Die IV-Berufsberatung und das ABI hätten richtig festgestellt, dass der Beschwerdeführer sein Geschäft behalten müsse. Das ABI habe sich lediglich zur medizinisch-theoretischen Arbeitsfähigkeit geäussert. Die blosse medizinisch-theoretische Schätzung der Arbeitsunfähigkeit sei nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung jedoch nicht massgebend. Weder das ABI noch die Beschwerdegegnerin hätten dargelegt, um was für eine adaptierte Tätigkeit es sich praktischerweise handeln könnte. Eine solche Tätigkeit gebe es gar nicht. Der Beschwerdeführer habe nur als Selbstständigerwerbender die Möglichkeit, die Arbeiten an seine Beschwerden anzupassen und die notwendigen Pausen einzulegen. Im Weiteren sei der Beschwerdeführer stolz, die Traditionsfirma seit 18 Jahren erfolgreich zu führen; die Aufgabe des Familienunternehmens würde zu einer psychischen Dekompensation führen. Bei einer längerfristigen Betrachtungsweise müsste es die Beschwerdegegnerin geradezu vorziehen, jetzt eine halbe IV-Rente auszurichten, anstatt in einem Jahr eine volle Rente infolge psychischer Dekompensation ausrichten zu müssen. In eine langfristige Denkweise sei auch die Ehefrau des Beschwerdeführers, die unter Multipler Sklerose leide, miteinzubeziehen. Auch sie sei darauf angewiesen, in den schubfreien Zeiten ihre Arbeit als Sekretärin im Betrieb des Ehemanns erledigen zu können. Überdies sei der aktuelle Gesundheitszustand des Beschwerdeführers derart schlecht, dass er in naher Zukunft kaum mehr eine Arbeit erbringen könne. Diesbezüglich sei eine Expertise anzuordnen. Hinzu komme, dass es unverhältnismässig wäre, wenn der Beschwerdeführer sein Geschäft aufgeben müsste. Er habe sein ganzes Vermögen in sein Geschäft investiert. Eine Liquidation würde zu einem finanziellen Debakel führen. Weitere Ausführungen in der Beschwerde betreffen die Bemessung von Validenund Invalideneinkommen, woraus der Rechtsvertreter des Beschwerdeführers eine invaliditätsbedingte Erwerbseinbusse von Fr. 82'200.berechnet.
B.b Die Beschwerdegegnerin beantragt mit Schreiben vom 7. November 2006 die Abweisung der Beschwerde und verweist zur Begründung auf die Erwägungen im Einspracheentscheid (act. G 3).
Erwägungen:
1.
Der Rechtsvertreter des Beschwerdeführers rügt eine Verletzung des rechtlichen Gehörs. Die Beschwerdegegnerin sei nicht wenn, dann nur äusserst oberflächlich auf die Einsprache eingegangen. Die Prüfungspflicht der entscheidenden Behörde erstreckt sich auf sämtliche für den Entscheid erheblichen Tatbestandselemente, bedeutet jedoch nicht, dass sich die Behörde ausdrücklich mit jeder tatbestandlichen Behauptung und jedem rechtlichen Einwand auseinandersetzen muss. Vielmehr kann sie sich auf die für den Entscheid wesentlichen Gesichtspunkte beschränken (BGE 126 V 75 Erw. 5b/dd). Der angefochtene Einspracheentscheid befasst sich mit der zentralen Frage, ob es dem Beschwerdeführer zumutbar ist, seinen Betrieb aufzugeben und sich um eine Anstellung in einer adaptierten Tätigkeit zu bemühen. Obwohl nicht auf alle Vorbringen des Rechtsvertreters eingegangen wurde, so hat doch die Auseinandersetzung mit der Streitfrage stattgefunden. Aufgrund der Begründungsdichte konnte der Rechtsvertreter des Beschwerdeführers die nach Ansicht der Beschwerdegegnerin entscheidwesentlichen Argumente erfassen, wodurch ihm eine wirkungsvolle Anfechtung möglich war. Somit hat die Beschwerdegegnerin das rechtliche Gehör des Beschwerdeführers nicht verletzt.
Der Rechtsvertreter des Beschwerdeführers macht in der Beschwerdebegründung geltend, dessen Gesundheitszustand sei derart schlecht, dass er in naher Zukunft kaum mehr eine Arbeit erbringen könne. Diesbezüglich sei eine Expertise einzuholen. Im vorliegenden Verfahren ist auf den Sachverhalt abzustellen, wie er sich bis zum Erlass des Einspracheentscheids zugetragen hat. Die aktenkundigen medizinischen Unterlagen belegen eine Arbeitsunfähigkeit von 50% in der angestammten und eine volle Arbeitsfähigkeit in adaptierter Tätigkeit. Eine allfällige Verschlechterung des Gesundheitszustands seit der ABI-Begutachtung vom Sommer 2005 bzw. seit dem Bericht des Hausarztes Dr. A. vom 14. März 2006 bis zum Erlass des
Einspracheentscheids im Oktober 2006 ist nicht belegt. Eine Expertise über die nach Erlass des Einspracheentscheids erfolgte die zukünftige weitere Entwicklung der Arbeitsfähigkeit des Beschwerdeführers kann für das vorliegende Verfahren nicht entscheidwesentlich sein, weshalb auf die beantragte Expertise zu verzichten ist.
2.
Nach Art. 28 Abs. 1 IVG besteht der Anspruch auf eine ganze Invalidenrente, wenn die versicherte Person mindestens zu 70 %, derjenige auf eine Dreiviertelsrente, wenn sie mindestens zu 60 % invalid ist. Bei einem Invaliditätsgrad von mindestens 50 % besteht Anspruch auf eine halbe Rente und bei einem Invaliditätsgrad von mindestens 40 % Anspruch auf eine Viertelsrente.
Für die Bemessung der Invalidität von erwerbstätigen Versicherten ist gemäss Art. 28 Abs. 2 IVG Art. 16 ATSG anwendbar. Danach wird für die Bestimmung des
Invaliditätsgrades das Erwerbseinkommen, das die versicherte Person nach Eintritt der Invalidität und nach Durchführung der medizinischen Behandlung und allfälliger Eingliederungsmassnahmen durch eine ihr zumutbare Tätigkeit bei ausgeglichener Arbeitsmarktlage erzielen könnte, in Beziehung gesetzt zum Erwerbseinkommen, das sie erzielen könnte, wenn sie nicht invalid geworden wäre. Der Einkommensvergleich hat in der Regel in der Weise zu erfolgen, dass die beiden hypothetischen Erwerbseinkommen ziffernmässig möglichst genau ermittelt und einander gegenübergestellt werden; sie können aber auch nach Massgabe der im Einzelfall bekannten Umstände geschätzt werden (AHI 1998 S. 119). Es kann ferner auch eine Gegenüberstellung blosser Prozentzahlen genügen (Prozentvergleich; vgl. BGE 114 V 312 E. 3a). Lassen sich die beiden hypothetischen Erwerbseinkommen nicht zuverlässig ermitteln schätzen, so ist in Anlehnung an die spezifische Methode für Nichterwerbstätige (Art. 28 Abs. 2bis IVG; Art. 27 IVV) ein Betätigungsvergleich anzustellen und der Invaliditätsgrad nach Massgabe der erwerblichen Auswirkungen der verminderten Leistungsfähigkeit in der konkreten erwerblichen Situation zu bestimmen (vgl. BGE 128 V 30 f. E. 1; AHI 1998 S. 119).
3.
Aus medizinischer Sicht ist davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer in der angestammten Tätigkeit um mindestens 50% in seiner Arbeitsfähigkeit eingeschränkt ist. Körperlich überwiegend leichte bis gelegentlich mittelschwere, wechselbelastende Tätigkeiten ohne Gehen auf unebenem Gelände, ohne Besteigen von Leitern, ohne Heben, Stossen und Ziehen von Lasten über 10 bis 15 kg, ohne repetitive Überkopftätigkeiten und ohne die Einnahme von Zwangshaltungen sind dem Beschwerdeführer gemäss Beurteilung der ABI-Gutachter medizinisch-theoretisch ganztägig ohne Einschränkung zumutbar. Diese Einschätzung stimme mit der Selbsteinschätzung des Beschwerdeführers überein (IV-act. 29-16). Relevante Diskrepanzen zu anderen ärztlichen Einschätzungen bestehen nicht. So gelangte der Hausarzt Dr. A. zur selben Ansicht (IV-act. 20-7 f.; 9-3 f.). Die medizinischen Beurteilungen sind umfassend, nachvollziehbar und erscheinen als schlüssig; es kann darauf abgestellt werden.
Die ABI-Gutachter äusserten im Gutachten vom 21. Juli 2005 ihre Meinung, der Beschwerdeführer sei mit seinem Sanitärgeschäft bestens beruflich und sozial integriert. Ihres Erachtens sollte diese Situation möglichst beibehalten werden, da die Zukunft des Beschwerdeführers, insbesondere auch mit möglicher psychischer Beeinträchtigung, unsicher sei (IV-act. 29-17). Die zuständige IV-Berufsberaterin hielt in einer Notiz vom 6. Februar 2006 fest, der Beschwerdeführer habe glaubhaft verständlich gemacht, dass er nicht 50% Büroarbeiten in seinem Betrieb erledigen könne, weil dieser dafür zu klein sei. Weiter ist die Berufsberaterin der Ansicht, eine Umschulung in eine andere Branche mache in Anbetracht des Alters des Beschwerdeführers und der Schwierigkeit, ohne Erfahrung auf Stellensuche zu gehen, wenig Sinn. Die Kosten-Nutzen-Bilanz wäre sehr ungünstig (IV-act. 42). Am 8. Februar 2006 hielt die Berufsberaterin fest, es wäre sehr schwierig, durch eine Umschulung eine bessere Qualifikation des Beschwerdeführers zu erreichen, als er sie in seinem eigenen Betrieb umsetzen könne. Er habe da die Möglichkeit, handwerklich mehr zu leisten, weil er sich die einfacheren Arbeiten zuteilen könne. Sie schliesse sich daher der Aussage des ABI an. Weder aus berufsberaterischer noch aus psychologischer Sicht sei eine Umschulung angemessen. Eine Geschäftsaufgabe erachte sie als unzumutbar, doch dies müsse durch die Sachbearbeitung geprüft werden (IV-act. 45). Die Verfügung vom 23. Februar 2006 verneinte einen Anspruch auf berufliche Massnahmen mit dem Hinweis, gesundheitsbedingt wären diese grundsätzlich
möglich, jedoch wolle der Beschwerdeführer seinen Betrieb weiterführen. Unter diesen Umständen seien berufliche Massnahmen nicht angezeigt (IV-act. 49). Bei der Rentenprüfung ging die Beschwerdegegnerin von voller Arbeitsfähigkeit in adaptierter Tätigkeit aus und wies das Rentenbegehren ab (IV-act. 50). Damit ist sie der Ansicht der IV-Berufsberaterin und der ABI-Gutachter, eine Geschäftsaufgabe sei dem Beschwerdeführer nicht zumutbar bzw. nicht sinnvoll, nicht gefolgt. Sie hat ihm offenbar nicht zugestanden, in seinem Betrieb optimal eingegliedert zu sein. Betreffend berufliche Massnahmen hat sie sich auf sein fehlendes Interesse an einer Umschulung gestützt.
4.
Zu prüfen ist, ob dem Beschwerdeführer im Sinne der Beschwerdegegnerin die Aufgabe des Geschäfts zugemutet werden kann. Die Rechtsprechung leitet die Pflicht der versicherten Person zur beruflichen Neueingliederung aus dem Gebot der Schadenminderung ab; die versicherte Person soll alles ihr Zumutbare unternehmen, um die erwerblichen Folgen ihres Gesundheitsschadens bestmöglich zu mindern, denn die Sozialversicherung soll nicht Schäden ausgleichen müssen, die die versicherte Person durch zumutbare geeignete Vorkehren selbst beheben vermindern kann. Die Frage, ob und gegebenenfalls welche berufliche Neueingliederung von einer versicherten Person im Rahmen ihrer Pflicht zur Schadenminderung verlangt werden kann, beantwortet sich nach dem Grundsatz der Zumutbarkeit, der als Teilgehalt im verfassungsmässigen Grundsatz der Verhältnismässigkeit (Art. 5 Abs. 2 BV) enthalten ist (Thomas Locher, Grundriss des Sozialversicherungsrechts, 3. Aufl., Bern 2003, § 4 Rz 26 ff.). Von der versicherten Person kann daher nur eine berufliche Umstellung verlangt werden, die ihr unter Berücksichtigung der gesamten objektiven und subjektiven Gegebenheiten des Einzelfalles zumutbar ist, d.h. es darf sich nicht um realitätsfremde und in diesem Sinne unmögliche unverhältnismassige Vorkehren handeln. Für die Beurteilung der Zumutbarkeit eines Berufswechsels sind insbesondere das Alter der versicherten Person, die Art und Dauer ihrer bisherigen Berufstätigkeit, deren selbstständige unselbstständige Ausübung, die mit einer beruflichen Neueingliederung verbundene Veränderung der sozialen Stellung der versicherten Person, ihre persönlichen und familiären Verhältnisse sowie die entsprechend grössere geringere Flexibilität hinsichtlich ihres Wohnund Arbeitsortes massgebend. Ins
Gewicht fällt auch die Art und Dauer der beanspruchten Versicherungsleistungen sowie deren Kosten. Denn die Anforderungen an die Schadenminderungspflicht sind zulässigerweise dort strenger, wo eine erhöhte Inanspruchnahme der Sozialversicherung in Frage steht, wie dies beispielsweise bei Rentenleistungen an relativ junge Versicherte der Fall ist, denen in einer neuen beruflichen Tätigkeit noch eine lange Aktivitätsperiode verbleibt (vgl. m.w.H. das Bundesgerichtsurteil I316/2004 vom 23. Dezember 2004, Erw. 2.2).
Der Beschwerdeführer war seit Abschluss seiner aufeinander folgenden Ausbildungen zum Sanitärinstallateur und Heizungsmonteur 1978 im Betrieb seines Vaters tätig, den er 1989 übernahm und bis heute selbstständig führt. Seine Tätigkeit für jenen Betrieb dauert also bereits knapp 30 Jahre. Er war während der Dauer seines Erwerbslebens praktisch nie als Arbeitnehmer im eigentlichen Sinn tätig. Mit seinem Betrieb ist der Beschwerdeführer in B. alteingesessen. Seine an Multipler Sklerose erkrankte Ehefrau kann bei freier Zeiteinteilung im Betrieb gewisse Büroarbeiten erledigen. Weiter fällt ins Gewicht, dass der Beschwerdeführer stets deutlich überwiegend handwerkliche Tätigkeiten ausführte und in anderen, körperlich leichteren Tätigkeitsfeldern nie Berufserfahrung sammelte. Der IV-Berufsberaterin ist darin zuzustimmen, dass eine Umschulung und ein Einstieg in ein anderes Berufsfeld, in dem der Beschwerdeführer in seinem Alter und ohne Berufserfahrung wenig Chancen hat, denselben Verdienst zu erzielen wie als Selbstständigerwerbender, eine schlechte Kosten-Nutzen-Bilanz ergibt (IV-act. 45-1). Unter Würdigung der Gesamtsituation ist es dem knapp 50 Jahre alten Beschwerdeführer nicht zumutbar, seinen Betrieb aufzugeben zugunsten einer mehrjährigen Umschulung, deren Erfolg bei den vorliegenden Gegebenheiten zweifelhaft wäre.
5.
Nach dem Gesagten hat die Invaliditätsbemessung aufgrund der tatsächlichen Verhältnisse zu erfolgen. Der Beschwerdeführer ist also als zu 50% arbeitsfähig zu betrachten. Die Beschwerdegegnerin hat zur Invaliditätsbemessung einen Einkommensvergleich vorgenommen, wobei sie in der Verfügung vom 23. Februar 2006 ein Valideneinkommen von Fr. 65'456.- (IV-act. 50) bzw. im Einspracheentscheid ein solches von Fr. 53'782.- (act. G 1.1.1) beizog. Im Einspracheentscheid stellte sie
auf das zwischen 1991 und 2000 erzielte Durchschnittseinkommen gemäss IK-Auszug ab. Dieses unterlag starken Schwankungen; in den Jahren 1996 und 1997 betrug es
z.B. nur Fr. 18'300.- (IV-act. 8). Gewisse Rückenschmerzen, die mitunter zur Hospitalisation des Beschwerdeführers führten, bestanden bereits in den 1990erJahren, insbesondere 1995 (IV-act. 29-6). Der IK-Auszug ist keine verlässliche Grundlage zur Ermittlung des Valideneinkommens. Eine Zusammenstellung der Steuerveranlagungen der Jahre 1995 bis 2003 zeigt, dass das Einkommen aus selbstständigem Haupterwerb stets äusserst stark schwankte. Im Jahr 2000 erreichte es etwa Fr. 153'027.-, während es im Folgejahr auf Fr. 16'807.einbrach (IV-
act. 52-34). Bereits vor Eintritt der Behinderung hatte der Beschwerdeführer zwei Monteure und einen Lehrling eingestellt, zudem erledigt seine Ehefrau administrative Arbeiten. Die Lohnkosten betrugen insgesamt und inklusive Ausgaben für Arbeiten durch Dritte und Unterakkordanten rund Fr. 153'000.im Jahr 2002, gut Fr. 207'000.im Jahr 2003 und gut Fr. 224'000.im Jahr 2004 (IV-act. 11-17; 35-4); sie stiegen also an. Der Umsatz hatte im Jahr 2000 rund Fr. 918'000.-, im Jahr 2001 rund 675'000.-, im Jahr 2002 rund Fr. 484'000.-, im Jahr 2003 rund 716'500.- und im Jahr 2004 rund
Fr. 657'000.betragen (IV-act. 52-30; 35-4). Dem Abklärungsbericht vom
14. September 2004 ist zu entnehmen, der Beschwerdeführer könne nicht sagen, in welchem Ausmass der Umsatz wegen seiner Krankheit bzw. der konjunkturellen Lage zurückgegangen sei. Er habe aber Arbeiten zurückstellen müssen nicht ausführen können (IV-act. 21-5). Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass die betriebliche Entwicklung von verschiedenen, in ihrer Wirkung unabsehbaren Faktoren - neben dem Gesundheitszustand des Beschwerdeführers etwa auch der konjunkturellen und der Konkurrenzsituation beeinflusst ist. Insgesamt lässt sich jedenfalls keine zuverlässige Korrelation zwischen diesen Beträgen und der auf dem eigenen Leistungsvermögen des Beschwerdeführers beruhenden Wertschöpfung herstellen. Die Invaliditätsbemessung hat aus diesen Gründen nach der Methode des ausserordentlichen Bemessungsverfahrens zu erfolgen.
Zunächst ist anhand des Betätigungsvergleichs die leidensbedingte Behinderung festzustellen; sodann ist diese im Hinblick auf ihre erwerbliche Auswirkung besonders zu gewichten (vgl. I 152/02; BGE 128 V 30 f. E. 1; AHI 1998 S. 119; BGE 104 V 136
E. 2c). Dabei kann eine bestimmte Einschränkung im funktionellen Leistungsvermögen
eines Erwerbstätigen eine Erwerbseinbusse gleichen Umfangs zur Folge haben. Das ist
aber nicht zwingend. Die ausserordentliche Methode ist keine Untervariante der allgemeinen Methode des Einkommensvergleichs. Sie lehnt sich an die spezifische Methode an. Für die wirtschaftliche Gewichtung des Betätigungsvergleichsergebnisses bietet sich an, den Wert der verschiedenen Betätigungen im Verhältnis zueinander festzustellen und mit der Einschränkung im jeweiligen Tätigkeitsbereich in Beziehung zu setzen. Dabei darf nicht auf die Betriebsergebnisse abgestellt werden (BGE 128 V 29). Es ist eine einzelfallbezogene Bewertung gefragt. Deshalb sind nach der Rechtsprechung zwar statistische Werte heranzuziehen, doch ist dabei auf branchenübliche Einkommenswerte abzustellen, nicht auf LSE-Tabellen. Der Invaliditätsgrad soll unter Berücksichtigung der einzelfallbezogenen Kriterien wie Betriebsgrösse, Branche, Erfahrung des Betriebsinhabers usw. ermittelt werden (vgl. das Urteil I 202/03 des Bundesgericht, Erw. 5.5).
Die Beschwerdegegnerin hat im März 2004 einen Betätigungsvergleich vorgenommen, der eine Arbeitsfähigkeit des Beschwerdeführers von 43% ergab (IVact. 21-7). Da der Fall als medizinisch noch nicht genügend abgeklärt erachtet wurde, gab die Beschwerdegegnerin die ABI-Begutachtung in Auftrag. Der Abklärungsbericht Selbstständigerwerbende lag den Gutachtern vor (IV-act. 29-4). Der Beschwerdeführer hatte gegenüber den Gutachtern ausgeführt, in seinem Betrieb zwischen 40% und 50% arbeiten zu können (IV-act. 29-10). Die Gutachter hielten schliesslich fest, die medizinisch-theoretisch festgestellte Arbeitsfähigkeit von maximal 50% stimme mit der Selbsteinschätzung des Beschwerdeführers überein (IV-act. 29-16). Dadurch wurde das Ergebnis der Abklärung Selbstständigerwerbende also auch aus medizinischer Sicht weitgehend bestätigt. Im Bereich "Praktische Arbeiten als Sanitärinstallateur auf dem Bau" sowie bei "Arbeiten in der Werkstätte" erachtete sich der Beschwerdeführer gemäss Abklärungsbericht zu 70% arbeitsunfähig, im Bereich "Praktische Arbeiten als Heizungsmonteur, liefern, montieren, sanieren und Kaminbau" zu 80% und im Bereich "Erdarbeiten, Hauptund Hausanschlüsse, Hydranten, Leitungen legen" als voll arbeitsunfähig (IV-act. 21-7). Es ist durchaus nachvollziehbar und glaubhaft, dass all diese Arbeiten überwiegend körperlich schwere Tätigkeiten beinhalten. Der Abklärungsbericht erscheint als aussagekräftig.
Die Beschwerdegegnerin hat es unterlassen, eine erwerbliche Gewichtung der
leidensbedingten Behinderung vorzunehmen. Auf eine Rückweisung zur Durchführung
einer exakten erwerblichen Gewichtung unter Beizug branchenüblicher Einkommenswerte kann jedoch verzichtet werden, wie nachfolgend zu zeigen ist. Insbesondere den Bereichen Betriebsführung, Kundenakquisition und -betreuung und Offertwesen sowie Personaleinsatz und -überwachung (Ziff. 7.1 des Abklärungsberichts in IV-act. 21-7) ist grundsätzlich ein grösserer Anteil an Wertschöpfung zuzuordnen als den übrigen Aufgaben des Beschwerdeführers. Der Beschwerdeführer ist nur in diesen Tätigkeiten nicht behinderungsbedingt eingeschränkt. In allen übrigen Tätigkeitsbereichen besteht eine Einschränkung von 70% bis 100%. Jene übrigen Tätigkeitsbereiche weichen in ihren jeweiligen Wertschöpfungspotentialen kaum beachtlich voneinander ab. Selbst wenn die Wertschöpfung im Tätigkeitsbereich gemäss Ziff. 7.1 bedeutend höher wäre als bei den übrigen Arbeiten (Ziff. 7.2 bis 7.5 im Abklärungsbericht), so läge der Invaliditätsgrad des Beschwerdeführers doch stets über 50%. Dies gilt selbst dann, wenn der Bereich gemäss Ziff. 7.1 des Abklärungsberichts um die Hälfte besser bezahlt wäre als die übrigen Tätigkeiten, man also z.B. von einem Nettostundenlohn von Fr. 45.für den Bereich gemäss Ziff. 7.1 und entsprechend von Fr. 30.für die übrigen Tätigkeiten ausginge. In Anwendung der in BGE 128 V 32 erläuterten Formel des Bundesgerichts
Invaliditätsgrad = T1xB1xS1 + T2xB2xS2
T1xS1 + T2xS2
T: Tätigkeitsbereich (in %)
B: Behinderung in diesem Tätigkeitsbereich (in %)
S: Ansatz in Franken pro Stunde für diesen Tätigkeitsbereich ergäbe folgende Berechnung
25 x 0 x 45 + 30 x 70 x 30 + 30 x 80 x 30 + 10 x 70 x 30 + 5 x 100 x 30
25 x 45 + 30 x 30 + 30 x 30 + 10 x 30 + 5 x 30
einen Invaliditätsgrad von 51%.
Freilich ist eine um die Hälfte bessere Bezahlung des Bereichs gemäss Ziff. 7.1 offensichtlich zu hoch gegriffen. Auf die Rückweisung zur exakten Berechnung gestützt auf branchenübliche Werte kann jedoch verzichtet werden, da der Invaliditätsgrad jedenfalls über 51% und unter 60% zu liegen käme. Vor diesem Hintergrund kann auf eine detaillierte erwerbliche Gewichtung verzichtet werden. Somit hat der Beschwerdeführer Anspruch auf eine halbe IV-Rente. Gemäss ABI-Gutachten besteht die Arbeitsunfähigkeit seit dem 15. Januar 2003 (IV-act. 29-17). Der Rentenbeginn ist damit unter Berücksichtigung des Wartejahres auf den 1. Januar 2004 festzulegen (vgl. Art. 29 Abs. 1 lit. b i.V.m. Abs. 2).
6.
Aufgrund der vorstehenden Erwägungen hat die Beschwerdegegnerin den Rentenanspruch des Beschwerdeführers zu Unrecht verneint. Der Beschwerdeführer hat ab 1. Januar 2004 Anspruch auf eine halbe IV-Rente.
Gemäss den Schlussbestimmungen des IVG zur Änderung vom 16. Dezember 2005, in Kraft seit 1. Juli 2006, gilt für die am 1. Juli 2006 bei der IV hängigen Einsprachen das bisherige Recht (lit. b der Schlussbestimmungen). Somit gelangt Art. 69 Abs. 1bis IVG zur Kostenpflicht von Streitigkeiten um die Bewilligung die Verweigerung von IV-Leistungen im kantonalen Gerichtsverfahren nicht zur Anwendung. Gerichtskosten sind demnach keine zu erheben.
Bei diesem Verfahrensausgang hat der Beschwerdeführer Anspruch auf eine Parteientschädigung, die vom Gericht ohne Rücksicht auf den Streitwert nach der Bedeutung der Streitsache und nach der Schwierigkeit des Prozesses bemessen wird (Art. 61 lit. g ATSG; vgl. auch Art. 98 ff. VRP/SG, sGS 951.1). Der Bedeutung der Streitsache und dem Aufwand angemessen erscheint eine Parteientschädigung von Fr. 3'500.- (einschliesslich Barauslagen und Mehrwertsteuer).
Demgemäss hat das Versicherungsgericht
im Zirkulationsverfahren gemäss Art. 53 GerG
entschieden:
Die Beschwerde wird unter Aufhebung des Einspracheentscheid vom 2. Oktober 2006 gutgeheissen. Der Beschwerdeführer hat seit 1. Januar 2004 Anspruch auf eine halbe Rente der Invalidenversicherung.
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.
Die Beschwerdegegnerin bezahlt dem Beschwerdeführer eine Parteientschädigung von Fr. 3'500.-.
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